Anti-Aging-Medizin - auf der Suche nach ewiger Jugend / 1Teil 2

Die Medizin des Mittelalters – Klostermedizin und Anti-Aging?

Im Europa des frühen Mittelalters zählte die Krankenpflege und damit ein großer Teil der Medizin zu den Aufgaben der Klöster. Im Vordergrund stand jedoch nur die Pflege, für die Heilung war sowieso Gott zuständig. Krankheiten waren schließlich eine Strafe Gottes für begangene Missetaten. Auch Alter und Tod waren von Gott gegeben. Und dem durfte der Mensch nicht ins Handwerk pfuschen – also erst mal nichts mehr mit Anti-Aging-Medizin.

Im Jahr 817 bestimmte die Aachener Synode, dass jedes Kloster oder Stift über ein Spital (Hospital) verfügen sollte. Diese waren zuständig für die Fürsorge und Pflege der Alten, Armen, Kranken und Schwachen. Ärzte und medizinisch geschultes Personal wie in unseren Krankenhäusern war dazu nicht notwendig, da das Gesundwerden ja in der Hand Gottes lag.

Auch die medizinische Ausbildung war eher dürftig. Ihr medizinisches Wissen bezogen die Mönche und Nonnen aus dem, was aus den früheren Zeiten überliefert wurde, hauptsächlich von Hippokrates und Galen und deren Viersäftelehre. Und wenn sie nicht mehr weiter wussten, wurde der Patient meist zur Ader gelassen oder purgiert. Zu forschen und das medizinische Wissen zu erweitern war sehr schwierig, es gab zu viele einschränkende kirchliche Dogmen und Erlasse. Die Ausbildung bestand üblicherweise in einer Lehrzeit bei einem bereits geprüften Arzt, mit viel Zuschauen und Beobachten.

Die erste Hochschule im Rang einer Universität existierte zwar bereits im 9. Jahrhundert in Byzanz. Die erste medizinische Hochschule in Europa entstand jedoch erst gegen Ende des 10. Jahrhunderts in Salerno. Es gab keine konfessionellen Einschränkungen in der Zulassung, selbst Frauen waren zum Studium zugelassen. Das hat sich dann allerdings ganz schnell wieder geändert, als die Universitäten bald darauf unter den Einfluss der Kirche gerieten…

Erst ab dem 13. Jahrhundert kamen über Spanien und die Mauren Einflüsse der hoch entwickelten arabischen Medizin nach Mittel- und Westeuropa. Und damit auch viel bewahrtes alchimistisches Wissen, wodurch die Suche nach dem Wunderelixier zur Verlängerung des Lebens wieder angeregt wurde, sozusagen nach der ultimativen Anti-Aging-Medizin.

Die Lebenserwartung der Menschen aus dem Volk lag im 14./15. Jahrhundert trotzdem bei knapp 30 Jahren. Die einfachen Leute konnten sich eben keinen Arzt leisten.

Anti-Aging-Medizin – gab es das im Mittelalter?

Arnald von Villanova (1240 – 1311), ein prominenter Arzt seiner Zeit, geht zumindest mal so weit, dass er sagt, das Ziel der Medizin sei nicht, nur die Gesundheit zu erhalten und wiederzugewinnen, sondern auch das Leben zu vervollkommnen. Und in der päpstlichen Kurie des 13. Jahrhunderts hatte die Kunst der Lebensverlängerung in Gesundheit (Makrobiotik) einen wichtigen Stellenwert inne. Papst Alexander III. schickte 1177 seinen Leibarzt nach Indien, um das sagenhafte Land des Priesterkönigs Johannes zu finden, wo eine geheimnisvolle Quelle ewige Jugend versprach und ein wundersamer Stein „nur christen und solche, die es werden wollen“ heilte. Wilhelm von Saliceto (ca. 1210 – 1280) verschrieb Mittel gegen Fettsucht und Krampfadern. Michele Savonarola gab bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Ratschläge zur Verkleinerung oder Vergrößerung der Brüste. 😉 (aus: „Anti-Aging – von der Antike zur Moderne“ von Ralf M. Trüeb und Reinhold Bergler)

Eine weitere herausragende Gestalt des Mittelalters war Roger Bacon (1214 – 1294), genannt „Doctor Mirabilis“. Er war Franziskaner, Philosoph und Naturwissenschafter, allerdings mit einem Hang zum Mystizismus. Er beschäftigte sich auch mit der Gesundheit, unter anderem mit dem Ziel „…den jungen Menschen vor dem Alter zu bewahren…, …den Greis hingegen auf irgend eine Weise zu verjüngen.“ Außerdem entwickelte er auch eine Art „Anti-Aging-Küche“, allerdings mit für unser Empfinden etwas seltsamen Rezepten wie in Salzwasser gekochten Vipern mit Rotwein.

Außerdem war Bacon ein Alchimist. Die Alchimisten beschäftigten sich nicht nur mit dem Versuch, Gold herzustellen. Sie waren auch auf der Suche nach dem Stein der Weisen, der – neben der Fähigkeit, jedes Metall in Gold zu verwandeln – auch als das wahre Anti-Aging-Wundermittel galt, mit dem jede Krankheit besiegt und ein alter Mensch wieder in einen jungen verwandelt werden kann.

Anti-Aging im Verständnis der Renaissance

In der Renaissance entwickelte sich ein neues Verständnis der Realität und damit auch der Medizin.
Die Aufmerksamkeit richtete sich auf die gesunde Lebensführung, auf die Erhaltung der Lebensfreude und Vermeidung von Stress. Man begann auch, die Beziehungen zwischen Alterserscheinungen und organischen beziehungsweise anatomischen Veränderungen des Körpers zu untersuchen. Das heißt, dass der eine oder andere besonders wagemutige Mediziner es wagte, Leichen zu sezieren, um mehr über die Anatomie zu lernen. Nach dem Verständnis der damaligen Zeit noch einfach unvorstellbar.

1550 erschien eine Schrift von Tomaso Rangone mit dem Titel „Wie man das Leben des Menschen über 120 Jahre hinaus verlängern kann“. So weit sind wir heute auch schon wieder… ;-).

In dieser Zeit lebte auch Philipus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493 – 1541). Er hatte zwar einen ziemlich schlechten Ruf, was auch an seiner teils sehr drastischen und unverblümten Ausdrucksweise lag, aber seine Erkenntnisse und seine Abkehr von der Viersäftelehre brachten Fortschritt in die Medizin. Auch er war unter anderem ein Alchimist und dadurch auf der Suche nach dem Elixier zur Erhaltung der Jungend und der Verlängerung des Lebens. Seiner Überzeugung nach war es zu finden in den Mineralien und chemischen Substanzen. Deshalb war er allerdings auch davon überzeugt, dass es Unsinn sei, die Länge des Lebens und den Erhalt der Jugendlichkeit durch den Lebensstil beeinflussen zu wollen. Schließlich sei es ein Leichtes für die Menschen, 1000 Jahre alt zu werden, wenn die Alchemie erst mal das ersehnte Elixier entdeckt habe. Nun ja, Paracelsus starb mit 48 Jahren, möglicherweise an einer Quecksilbervergiftung, ohne dass er es gefunden hatte.

Luigi Cornaro (1467 – 1565) dagegen, ein Adliger und Lebemann aus Venedig, verordnete sich selbst aus gegebenem Anlass eine Diät – die jedoch auch einen halben Liter Rotwein täglich enthielt. Er nahm ab, wurde seine Diabetes und Gicht los und schrieb ca. 1530 ein Anti-Aging-Buch mit dem Titel „Discorso della vita sobria“, auf deutsch „Traktat vom mäßigen Leben“, das bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Bestseller war. Zu Recht, wie es scheint, denn er wurde fast 100 Jahre alt.

Die naturwissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts und die Anti-Aging-Medizin

Antoni van Leeuwenhoek baute die ersten einlinsigen Mikroskope mit einer bis zu 270-fachen Vergrößerung, William Harvey entdeckte den Blutkreislauf und Gaspari Aselli die Lymphgefäße. An den europäischen Universitäten konnte man noch immer nichts außer Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie studieren.

Einer der brillantesten Köpfe des 17. Jahrhunderts war René Descartes (1596 – 1650), der jedoch auch ein kalter, furchtbarer Rationalist war. Die Vernunft ging ihm über alles. Meistens wenigstens. Denn – die Verlängerung des Lebens und der Erhalt der Jugendlichkeit waren ihm ein großes Anliegen. Er setzte hier hohe Erwartungen in neue Erkenntnisse der Medizin. Auch aus durchaus egoistischen Gründen…

Francis Bacon (1561 – 1626) dagegen glaubte immer noch an die Viersäftelehre. Trotzdem war auch er davon überzeugt, dass im medizinischen Fortschritt auch die Rettung der Menschen vor den Folgen des Alterns zu finden sei. In einer seiner Theorien lebten quasi die alten Ägypter wieder auf. Er war ein leidenschaftlicher Anhänger von Einläufen, am besten täglich. Denn er war fest davon überzeugt, dass alles Übel im Darm sitzt. Und das muss raus.

Das 18. Jahrhundert und das erste deutsche Buch über Anti-Aging-Medizin

Voll illustrer Gestalten war das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung, dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, wie Kant schrieb. Geprägt wurde das Denken dieser Zeit von Menschen wie Voltaire, Rousseau, Benjamin Franklin und von der Idee, dass der Mensch frei sein solle von überkommenen Zwängen und Beschränkungen. Rousseau (1712 – 1778) war der Meinung, alle Krankheiten seien auf die Zivilisation, auf einen falschen Lebenswandel, zurückzuführen. Die meisten von uns kennen von ihm den Satz „Zurück zur Natur“. Damit meinte Rousseau allerdings nicht die uns umgebende Natur oder gar eine Rückkehr des Menschen in die Steinzeit, sondern er meinte damit, der Mensch solle zu seiner Natur zurückkehren. Eine Diskussion darüber, was die Natur des Menschen ist, will ich jetzt aber nicht losbrechen.

Beeinflusst von Rousseaus Ideen war zweifellos auch Christoph Wilhelm Hufeland (1762 – 1836). Er war unter anderem Leibarzt der Familie von Friedrich Wilhelm III sowie Erster Arzt und Direktor der Charité in Berlin. Von ihm stammen zahlreiche Schriften zur Gesundheitspflege. 1796 veröffentlichte er sein Hauptwerk: „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“. Dieses Buch ist sogar heute noch erhältlich.

Darin schreibt er unter anderem: „Viele, ja wirklich die meisten dieser Krankheiten sind unsere eigene Schuld.“ Er war der Meinung, der Mensch würde mit einem bestimmten Quantum an Lebenskraft geboren und der individuelle Lebensstil entscheide dann darüber, ob er diese Lebenskraft verschwendet oder sinnvoll nutzt. Dabei wirbt er für Mäßigung in allen Bereichen des Lebens, ganz besonders auch beim Essen. Recht hat er, Übergewicht ist die Ursache vieler Krankheiten, die das Leben verkürzen.

Hufeland war auch der Freund und Hausarzt von Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832). Dem scheint diese Freundschaft recht gut getan zu haben, immerhin wurde er 83 Jahre alt, in seiner Zeit keine Selbstverständlichkeit. Er war zwar ein ausgesprochener Genussmensch und absolut kein Sportler, aber er schätzte ausgedehnte Wanderungen. 1830 beendete Goethe seine Arbeit am 2. Teil des Faust, also mit 81 Jahren – ein wundervolles Beispiel geistiger Frische bis ins hohe Alter.

Trotz aller Vernunft liefen die Menschen im 18. Jahrhundert auch so schillernden Gestalten nach wie dem Grafen von Saint Germain, der von sich behauptete, unsterblich zu sein, oder Cagliostro, der sich brüstete, ein Elixier der Unsterblichkeit zu besitzen.

Das 19. Jahrhundert – die Medizin wird zu einer modernen Naturwissenschaft

Geprägt wird die Medizin des 19. Jahrhunderts durch bekannte Namen wie Robert Koch, Rudolph Virchow, Louis Pasteur und die Entstehung der modernen Bakteriologie. Von besonderer Bedeutung war aber – gerade hinsichtlich der Anti-Aging-Medizin – das Jahr 1889. In diesem Jahr wurde sozusagen die Endokrinologie geboren, die Lehre von den Hormonen. Der Begriff Hormone wurde allerdings erst in 1905 von Ernest Starling geprägt. Nichtsdestotrotz – im Jahr 1889 wurde Professor Charles Edward Brown-Séquard zum Star, als er bei einem Vortrag verkündete, er habe eine Flüssigkeit gefunden, die Langlebigkeit bescheren könne und darüber berichtete, dass er sich selbst damit verjüngt habe. Gewonnen hatte er das so genannte Liquide orchitique aus den Hoden frisch getöteter Hausmeerschweinchen und Hunde. Zu diesem Zeitpunkt war er 72. Seine Kollegen griffen seine Therapie mit Begeisterung auf. Er starb fünf Jahre später – ganz so toll kann der Effekt also nicht gewesen sein.

Aber auch wenn die Therapie von Professor Brown-Séquard sich als unwirksam erwies – er hat damit eine Entwicklung angestoßen, die für die Anti-Aging-Medizin von größter Bedeutung war. Genauso wie die Mikrobiologie, die ihren Anfang nahm mit den Entdeckungen von Robert Koch und Louis Pasteur. Sie fanden heraus, dass für die Entstehung von Infektionskrankheiten kleinste Organismen, Bakterien, verantwortlich waren. Und aus der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum der eine Mensch krank wird, wenn er bestimmten Bakterien ausgesetzt ist und der andere nicht, entstand die Immunologie. Einer, der als Immunologe begann und für seine Entdeckung der Phagozyten zusammen mit Paul Ehrlich sogar den Nobelpreis erhielt, wandte sich in seinen späteren Jahren der Medizin des Alterns zu und den Möglichkeiten zur Lebensverlängerung. Sein Name: Ilja Iljitsch Metschnikow (1845 – 1916). Dabei kam er zu der gleichen Erkenntnis wie schon die alten Ägypter: Der Darm ist schuld, es sind die schlechten Bakterien da drin, die uns altern und viel zu früh sterben lassen. In diesem Zusammenhang beschäftigte er sich intensiv mit bakterienangereicherter Nahrung und erfand dabei sozusagen die Probiotik. Also mir ist Joghurt lieber als tägliche Einläufe oder obskure Extrakte ;-).

Das 20. Jahrhundert und die Hormone

Bei dem größten Spektakel in der Anti-Aging-Medizin des beginnenden 20. Jahrhunderts ging es mal wieder um eben das, dem in Bezug auf die Sehnsucht, jung zu bleiben, schon immer sehr, sehr viel Bedeutung beigemessen wurde: Die männliche Potenz. Als ob nur der alt sei, der nicht mehr… kann…

Sei’s drum. Auf jeden Fall wurde ein Mann in dieser Zeit weltberühmt, der sich dieses Problems intensiv annahm: Serge Voronoff (1866 – 1951). Hatte Brown-Séquard noch mit Flüssigkeiten aus Tierhoden experimentiert, so ging Voronoff noch einen Schritt weiter: Er verpflanzte Hoden. Zuerst menschliche Hoden, dann – weil davon wohl nicht genug zur Verfügung standen – Affenhoden. In den 20er und 30er Jahren war seine Praxis das Ziel vieler älterer Herren mit ausreichend gepolstertem Portemonnaie. Auch in Amerika wurde seine Methode schnell aufgegriffen und erfolgreich vermarktet, so lange es eben ging. Denn auf dem Gebiet der Hormone wurde intensiv weiter geforscht und es gelang bald, Hormone synthetisch herzustellen.

Inzwischen passierte aber noch etwas anderes: Paul Niehans (1882 -1971) entwickelte seine Zellulartherapie, wohl besser bekannt unter dem Namen Frischzellentherapie. Er ging davon aus, dass ein alternder Körper verjüngt werden könne, wenn man ihm ganz besonders junge Zellen zuführt. Nämlich die Zellen von Föten, Schafsföten, um es genau zu sagen. Da er das große Glück hatte, einige Berühmtheiten als Patienten zu gewinnen, wie Papst Pius XII, Picasso, Konrad Adenauer, Ernest Hemingway, Haile Selassie, Willi Millowitsch oder Kaiser Hirohito wurde seine Klinik am Genfer See bald zum Mekka der reichen alten Männer. Obwohl sich tierische Zellen im menschlichen Organismus nachweislich nicht vermehren. Da muss man wohl sagen: Denn siehe, Dein Glaube hat Dir geholfen… 1958 erhielt Paul Niehans das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Nach einer Reihe von Skandalen wurde die Frischzellentherapie 1997 durch Horst Seehofer verboten. Im Jahr 2000 hob das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot jedoch wieder auf, weil es sich bei den „Frischzellen“ um keine Medikamente handle. Eine weitere Beurteilung der Frischzellentherapie machte das Gericht nicht. Davon abgesehen ist es um die Frischzellentherapie längst recht ruhig geworden. Sie wird jedoch in verschiedenen Schweizer Kliniken, die sich auf alternative Medizin spezialisiert haben, weiter angewendet.

Ungefähr in dieser Zeit griff Linus Pauling (1901 – 1994) die Idee des Biochemikers Irwin Stone auf, der glaubte, in großen Mengen von Vitamin C ein wirksames Mittel gegen Erkältungen gefunden zu haben. Linus Pauling war eigentlich Chemiker. Erst in fortgeschrittenem Alter, mit 65 Jahren, wandte er sich der Medizin zu. Pauling ging noch weiter als Stone, er war davon überzeugt, dass man mit hohen Vitamin-C-Gaben auch z. B. Krebs vorbeugen könne. Deshalb nahm er selbst täglich eine nach unseren Vorstellungen riesige Menge von Vitamin C zu sich, ich las einmal von 18 g. Sein Credo war „Vitamine, Vitamine“, und das hielt er für das ideale Heilmittel bei fast jedem medizinischen Problem. Aber selbst das von ihm seinerzeit in Palo Alto gegründete Institut für orthomolekulare Medizin ist heute von den hohen Dosen von Vitamin C wieder abgekommen.

Allgemein stand im Mittelpunkt der orthomolekularen Medizin die hochdosierte Verwendung von Vitaminen und Mineralstoffen zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten. Heute werden jedoch in erster Linie die äußerst komplexen Zusammenhänge erforscht, welche die unterschiedlichen Nahrungsbestandteile auf die Gesundheit haben.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kamen die sich rasant entwickelnden Biowissenschaften jetzt aber den Faktoren auf die Spur, welche die Alterungsprozesse auslösen. Begriffe wie Freie Radikale und Oxidativer Stress tauchten auf. Dabei entdeckte man, welche Stoffe in der Nahrung Freie Radikale neutralisieren – zumindest das, was davon zu viel ist – und den oxidativen Stress verhindern. Man entdeckte die Wirkung der Vitamine A, C und E und vieler sekundärer Pflanzenstoffe wie der Flavonoide, Polyphenole, Phenolsäuren, Saponine, Phytohormone, Carotinoide und so weiter.

Gemüse statt Falten, Bluthochdruck und Diabetes – klingt gut, finde ich. Schlecht jedoch für alle Pillendreher und Anbieter von Wundertherapien ;-).

Und damit kommen wir in der Geschichte der Anti-Aging-Medizin nahezu übergangslos in das

21. Jahrhundert – wird jetzt das Altern abgeschafft?

Anti-Aging ist zu einem regelrechten Hype geworden. Und zu einem sehr großen Wirtschaftsfaktor. Denn womit lassen sich besser Geschäfts machen als mit den Sehnsüchten und Ur-Ängsten der Menschen? Als ich heute bei google.de Anti-Aging als Suchwort eingab, erhielt ich innerhalb von 0,58 Sekunden ungefähr  68.300.000 Ergebnisse.

Aktuell gehen Wissenschaftler davon aus, dass wir Menschen ca. 120 Jahre alt werden können – im Idealfall.

Es gibt auch ein paar andere Ansichten: Durk Pearson und Sandy Shaw haben vor rund 25 Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel „Life Extension: A Practical Scientific Approach“ in dem Sie die Meinung vertreten, wir könnten durchschnittlich etwa 800 Jahre leben – wenn wir nicht so altern würden, wie wir es (jetzt noch) tun. Randolph M. Nesse und George C. Williams, zwei bekannte amerikanische Evolutionsbiologen, gehen von etwa 690 Jahren aus. Die Lebensspanne wäre nur durch Unfälle, Fremd- oder Selbsttötung und Krankheiten begrenzt.

Menschen wie der US-Physiker Michio Kaku und der Bestseller-Autor Ray Kurzweil können sich durchaus vorstellen, dass sich der alte Traum der Menschen von der Unsterblichkeit erfüllen wird.

Ein amerikanischer Experte auf dem Gebiet der Nanorobotik, Robert Freitas, arbeitet an der Entwicklung von Nanomaschinen, welche – dauerhaft in den menschlichen Körper eingesetzt – zum Beispiel Krebs bekämpfen oder Reparaturarbeiten ausführen könnten. Es gibt Prothesen mit integrierter Sensorik, Kunstorgane, Herz- und Gehirnschrittmacher. In diesem Zusammenhang las ich neulich den Begriff vom „homo sapiens electronicus“.

Die „normale“ Anti-Aging-Medizin befasst sich derzeit allerdings vorrangig mit der Prävention. Es geht in erster Linie darum, altersbedingte Krankheiten zu vermeiden. Kein Wunder, wenn man sich die Entwicklung der Kosten im Gesundheitsbereich ansieht. Meiner Ansicht nach ist diese Kostenexplosion aber in starkem Maße darauf zurückzuführen, dass alle möglichen körperlichen Unpässlichkeiten als Krankheit definiert und schwuppdiwupp eine kostenpflichtige Therapie oder ein Medikament dagegen kreiert wird. Es gibt für jede Krankheit bereits ungeheuer viele Medikamente, aber es werden immer noch mehr auf den Markt gebracht. Diese sind dann nicht unbedingt besser, aber normalerweise teurer. Nebenwirkungen haben sie alle. Aber dagegen kann man dann ja auch die passenden Medikamente verkaufen…

Dazu kommen noch die Entwicklungen in der „Nahrungsmittel“-Industrie. (Sorry, aber ich kann nicht mehr anders, ich muss das einfach in Anführungszeichen schreiben.) Immer mehr dieser Produkte werden im Hinblick auf angebliche gesundheitliche Aspekte aufgerüstet, mit Vitaminen, Mineralstoffen und so weiter versehen und auf medizinische Wirksamkeit hin umgeformt. Es wird immer schwieriger, frische, naturbelassene und per se gesunde Produkte zu kaufen. Und wenn ich frischen Brokkoli will, dann will ich einfach frischen, leckeren, von Schad- und Zusatzstoffen unbelasteten Brokkoli, keinen mit irgendwelchen Zusätzen gegen Osteoporose, Hühneraugen und Gicht.

Die Medizin, allen voran die Pharmaindustrie, und die Nahrungsmittelindustrie sind, das muss man einfach so sehen, ein knallhartes Geschäft.

Dabei sollten wir aber eines nicht vergessen: Altern ist keine Krankheit, Altern ist ein ganz normaler Prozess. Und er bringt uns auch einen nicht zu gering einzuschätzenden Vorteil: Unsere Erfahrungen. Wenn so mancher sagt: „Ich möchte mit dem, was ich heute weiß, noch einmal 20 sein“, dann sollten wir auch daran denken, dass das Gefühl, das wir beim Nochmal-20-sein haben, wohl ganz anders sein wird als das von damals, an das wir uns so gefühlvoll erinnern.

Wie wären überhaupt die Wechselwirkungen? Können wir physisch jung bleiben und altern dabei geistig? Man macht dann ja auch völlig andere Erfahrungen als ein Mensch, der körperlich ebenfalls altert. Diskussionsstoff für einige Nächte… Aber andererseits brauche ich ja meinen Schlaf, sonst krieg ich Falten, trotz viel Gemüse auf dem Teller ;-).

Egal was noch erfunden wird, um dem Leben mehr Jahre zu geben, die Alterung unserer Zellen erheblich zu verlangsamen oder gar zu stoppen: Was wir aus unserem Leben machen, liegt an uns, an jedem Einzelnen selbst. Mal ganz abgesehen davon, dass lebensverlängernde Geräte und Präparate sicher auch nicht einfach an jeden verschenkt werden. Wer arm ist, wird sicher nach wie vor früher sterben. Und dazu wüsste ich noch einiges zu schreiben, aber das wäre wohl eher Stoff für eine Satire.

Grundsätzlich sollten wir die Verantwortung für uns und unsere Gesundheit, die körperliche, seelische und die geistige, unbedingt selbst behalten. Sich also nicht vorgaukeln, es sei egal, wie man lebt, die Forschung würde uns schon rechtzeitig das Passende zur Verfügung stellen, dass man wieder gesund wird. Mir ist es lieber, wenn ich gar nicht erst krank werde, und dafür kann ich eine ganze Menge tun.

Und es ist unser Lebensstil, der unsere Gesundheit und unser Altern in höchstem Maße beeinflusst. Wie wir leben, was wir essen, ob wir uns genug bewegen, was und wie wir denken… Genau dazu wirst du in der nächsten Zeit hier noch viele wertvolle Informationen erhalten.

Was bist du dir selbst wert? Bist du es dir wert, etwas für dich selbst zu tun? Zum Beispiel alte Gewohnheiten aufzugeben, wenn du merkst, dass sie dir schaden? Und statt dessen andere Gewohnheiten zu etablieren, die dir gut tun?

Zwei empfehlenswerte Bücher zum Thema – besonders das Kochbuch – ich liebe Kochbücher, und das hier unten ist ein besonders schönes: